Mobilfunkkritische
Wissenschaftler werden unter Druck gesetzt
Quelle: Publik-Forum
14/2002, Artikel von Antje Bultmann
Strahlen, Tauben und Tumore / Wissenschaftler
wiesen die Schädlichkeit von Mobilfunk nach / dann wurden sie
unter Druck gesetzt.
Mobilfunk - das bedeutet vor allem Massenmarkt.
Die Frage, welche gesundheitlichen Schäden er verursacht, ist
deshalb vor allem bei den Anbietern mehr als unbeliebt. Das bekamen
in jüngster Zeit auch Wissenschaftler zu spüren, die -
oft zufällig - bei ihren Forschungen zu Ergebnissen kamen,
die den Mobilfunk-Interessenten nicht ins Konzept passen.
Zum Beispiel der Naturwissenschaftler
Leberecht von Klitzing. Als Leiter der Klinisch Experimentellen
Forschungseinrichtung der Universität Lübeck stellte er
bei Untersuchungen für eine Studie bereits 1992 fest, dass
gepulste Mikrowellen auch bei geringen Leistungen das Elektroenzephalogramm
des Menschen verändern. »Es könnte sein, dass die intrazelluläre
Kommunikation gestört wird. Die wissenschaftliche Erklärung
ist schwierig«, kommentierte Klitzing damals vorsichtig. Dann untersuchte
er als erster Wissenschaftler den Einfluss elektromagnetischer Felder
auf das menschliche Gehirn. Seine Forschungsergebnisse gefielen
nicht nur den Mobilfunkbefürwortern nicht, sondern auch Kollegen
an der Universität. Mehr und mehr fühlte sich Klitzing
gemobbt. Unter anderem wollte der Dekan, dass Klitzing eine Einladung
verschiedener Ausschüsse des Bundestages ausschlägt. Dort
sollte er einen Vortrag über seine Forschung halten. Nur weil
Nichtregierungsorganisationen protestierten, konnte er den Termin
wahrnehmen. Jüngst sah er sich veranlasst, in Rente zu gehen.
Seine Studienergebnisse seien nicht reproduzierbar, heißt
es. Man wisse nicht, ob die Versuchspersonen bei der »Bestrahlung«
geschlafen oder an Mozart gedacht hätten. Klitzing bot an,
den Versuchen beizuwohnen. Dafür hat sich keiner interessiert.
Inzwischen gibt es zahlreiche Studien - auch von der Bundesanstalt
für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Berlin - die zeigen,
dass Mobilfunkwellen auf Gehirn und Nervensystem einwirken.
Relevant sind auch die Studien von Professor
Peter Semm vom Zoologischen Institut der Universität Frankfurt.
Dem Neurobiologen erging es nicht besser als Klitzing. Nachdem er
auf einem Kongress der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über
den Einfluss elektromagnetischer Felder auf Vögel berichtet
hatte, meldete sich die Telekom bei ihm und bot ihm an, für
sie zu forschen. Da sein Heisenberg-Stipendium auslief, nahm Semm
das Angebot 1994 an. Er bestrahlte Tauben mit gepulsten Mobilfunk-Frequenzen
und untersuchte die Melatonin - Produktion. Anhand halbstündlicher
Blutproben konnte er nachweisen, dass die nächtliche Produktion
des Hormons unterdrückt wurde. »Es kam zu einem deutlich messbaren
Einfluss«, so Semm. Er bestrahlte außerdem Zebrafinken mit
einer Leistungsflussdichte weit unterhalb des Grenzwertes für
Handys. Normalerweise ändern Zellen von Zebrafinken, die Licht,
Farben oder Bewegung wahrnehmen, die Frequenz ihrer Nervenimpulse
um bis zu zehn Prozent. Dagegen reagierten die Nervenzellen der
Zebrafinken völlig unerwartet mit einer Abweichung um 60 Prozent.
Bei den Versuchen waren etwa ein Dutzend
Mal fünf Mitarbeiter der Telekom anwesend. »Die haben das alles
verfolgt«, berichtet Semm, »von der Präparation des Tieres
bis zum Ergebnis. Irgendwann haben sie gesagt: <gut>. Die
Ergebnisse waren deutlich und reproduzierbar. Der Streit ging los,
als ein Herr Kühn von der Forschungsgemeinschaft Funk sagte:
<Die Ergebnisse sind okay. Aber die Studie publizieren, das möchten
wir nicht.> Kühn berief sich dabei auf meinen Arbeitsvertrag.«
Semm wehrte sich. »Danach erhielt ich Abmahnungen und bald darauf
die Kündigung und Hausverbot bei der Forschungsgemeinschaft
Funk.«
Melatonin ist ein Hormon, das Wachstum
bestimmter Tumore hemmt. Seine Reduktion kann das Risiko von Brust-,
Gebärmutter und Prostatatumoren fördern. Es hat außerdem
Einfluss auf den Schlaf. Eine Veränderung des Melatonin-Haushalts
kann Depressionen zur Folge haben, es wirkt auf den Blutdruck oder
das Immunsystem. Studien, die zeigen, dass die Melatoninproduktion
gehemmt wird, sind deshalb brisant.
Auch in Frankreich und Spanien hat man
verhindert, dass Wissenschaftler weiter zum Thema forschen.
Professor Roger Santini von der Universität
Villeurbanne in Frankreich wurden im Herbst 2001 die Forschungsmittel
gestrichen. Er hatte Untersuchungen in der Nähe von Mobilfunksendern
durchgeführt und erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen
bei 530 Anwohnern dokumentiert. Der Direktor teilte ihm mit, dass
seine Arbeit über Mobiltelefone und Mobilfunk-Basisstationen
»nicht Thema seines Labors« sei. Er verbot ihm, seine Ergebnisse
publik zu machen. Santini erforscht seit 22 Jahren den Bio-Elektromagnetismus.
Aktuell ist auch der Fall des spanischen
Arztes und Chemikers Claudio Gomez Peretta. Er musste vor kurzem
auf Druck der Mobilfunklobby seine Untersuchungen über schädliche
Auswirkungen elektromagnetischer Wellen einstellen. Ansonsten -
hieß es - habe er mit Sanktionen zu rechnen. Die Begründung:
Peretta, Leiter der Suchtabteilung, sei »nicht offiziell ermächtigt«,
diese Forschung durchzuführen. In der Region Valencia führt
jetzt nur noch eine Firma Messungen durch, die von dem Elektrounternehmen
Iberdrola finanzielle Zuwendungen erhält. Und gerade hier tauchten
in jüngster Zeit überdurchschnittlich viele Fälle
von Leukämie unter Kindern auf.
Ähnliche Erfahrungen machte auch
der Epidemiologe George Carlo aus Washington. Er war früher
Direktor eines Mobilfunkunternehmens und gefürchteter Gutachter
für die Industrie. Er untersuchte von 1993 bis 1999 im Auftrag
von 28 US-Telefonunternehmen die Auswirkung des Mobilfunks. Seine
Bilanz: Handybesitzer sterben häufiger an Gehirntumoren als
Menschen, die nicht mit Mobilfunk telefonieren.
Die 27 Millionen Dollar teure Studie durfte
nicht veröffentlicht werden. Carlo wandte sich aber an die
Öffentlichkeit und begann Krankheitsgeschichten - von Handybenutzern,
Anwohnern von Sendern - in einer Datenbank zu speichern. Ein Versuch
der Mobilfunkbetreiber, dies per Gericht zu stoppen, scheiterte.
Carlo warnt: »Wir sind in einer Grauzone, in der wir nie waren.
Es ist das Beste, die Öffentlichkeit zu informieren. Die Firmen
geben jetzt übrigens Millionen Dollar aus, nur um mich zu diskreditieren.«
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