SIEMENS steigt über Finnland wieder in die
Atomenergie ein
Während die Bundesregierung hierzulande den Atomausstieg verkündet,
soll es mit ihrer Hilfe im Ausland lustig weitergehen: Zur Zeit
bereisen Siemens-Atomlobbyisten unter Führung der parlamentarischen
Staatsekretärin im Umweltministerium Margareta Wolf China,
um offenbar Details des Hanau-Deals zu besprechen.
Doch auch aus Finnland kommt für die Atomgemeinde frohe Kunde:
Ein von Framatome-ANP geführtes Konsortium soll am westfinnischen
Standort Olkiluoto ein Atomkraftkraftwerk des EPR-Typs (European
Pressurized Water Reactor) bauen. Ein entsprechender Vertrag wurde
vom finnischen Stromversorger Teollisuuden Voima Oy (TVO) mit Framatome-ANP
und deren Konsortialpartner Siemens unterzeichnet. Framatome ANP,
ein Unternehmen von AREVA und Siemens, wird den nuklearen Teil der
Anlage und Siemens die Turbinen für das Kraftwerk liefern.
Die Gesamtkosten des Reaktors "Olkiluoto 3", der eine
elektrische Leistung von rund 1600 Megawatt haben soll, betragen
laut TVO rund 3 Mrd. EUR. Der Reaktor ist der erste des EPR-Typs,
mit dem die Atomlobby die atomaren Weichen für das dritte Jahrtausend
stellen will. Er wäre gleichzeitig der erste Reaktor, der seit
Jahren in Westeuropa bestellt wurde. 1989 ging mit Neckarwestheim
II der letzte 1300 Megawatt Konvoi-Reaktor von SIEMENS-KWU in der
Bundesrepublik ans Netz. Die Anti-Atom-Bewegung hatte, unterstützt
durch die Ereignisse von Harrisburg und Tschernobyl, das ehrgeizige
Atomprogramm der Elektrizitätswirtschaft gestoppt. Das französische
Atomprogramm lief mit der Inbetriebnahme des letzten 1382 Megawatt-Reaktors
der N4-Baureihe im Jahre 1998 in Civaux vorläufig aus. Hoffnungen
auf nennenswerte Exportaufträge erfüllten sich für
die nationalen Reaktorindustrien Westeuropas nicht. Der von Siemens
und Framatome bereits vor 10 Jahren entwickelte EPR-Reaktor ist
keinesfalls sicherer und wirtschaftlicher als existierende Anlagen,
obwohl die Hersteller dies gerne behaupten. Er beinhaltet dasselbe
Störfallpotential und produziert, da größer, noch
mehr Atommüll und ist außerdem für den Betrieb mit
den hochgiftigen Uran-Plutoniummischoxid-Brennelementen (MOX) ausgelegt,
für die in Finnland keine Herstellungs- und Wiederaufarbeitunganlagen
existieren. Ist dies der Anfang eines Atommüllbehältertourismusses
mit neuen und abgebrannten Brennelementen über die Ostsee in
die französische Wiederaufarbeitungsanlage La Hague?
Die Behauptung des Geschäftsführers der Framatome ANP
GmbH Ralf Güldner, der EPR stelle eine "wettbewerbsfähige
und wirtschaftliche Möglichkeit dar, CO2-frei Strom für
die Grundlast zu erzeugen und kann damit zur nachhaltigen Entwicklung
im Energiesektor beizutragen", ist schlichtweg falsch. Der
EPR ist mit 3 Mrd. Euro Baukosten erheblich teuer als alle bisher
gebauten Atomkraftwerke, von "Schnellen Brütern"
abgesehen. Alle Atomkraftwerke weltweit wurden und werden direkt
aus den Staatshaushalten der Betreiberstaaten oder über die
Nichteinbeziehung der Umweltfolgen in die Betriebskosten subventioniert.
Weltweit verursacht der nukleare Brennstoffkreislauf vom Uranabbau
über die Anreicherung, den Betrieb, von Transport, Lagerung
und Wiederaufarbeitung unschätzbare Gesundheits- und Umweltschäden,
die monetär kaum zu erfassen sind. Desweiteren sind der Abriss
der radioaktiven Atomanlagen und die sichere Lagerung des strahlenden
Atommülls über Jahrzehntausende weltweit ungelöst.
Nicht nur in den vorhandenen Reaktoren, auch beim EPR besteht die
Gefahr eines Kernschmelzunfalls.
Verbesserte Sicherheitssysteme zur Störfallvermeidung und
-beherrschung sind – wie behauptet - beim EPR auch nicht auszumachen.
Die neu eingeführte digitale Leittechnik hat sich bei anderer
Gelegenheit im Reaktorbetrieb als besonders störanfällig
erwiesen. Einrchtungen zur Verhinderung einer Kernschmelze, die
in den EPR eingebaut werden sollen, können dazu beitragen,
eben gerade diesen Störfall mit massiver Radioaktivitätsfreisetzung
auszulösen.
Zur Vermeidung der klimaschädlichen Kohlendioxidemissionen
ist der EPR wie alle Atomkraftwerke nicht geeignet. Da Atomkraftwerke
aus technischen und wirtschaftlichen Gründen nur in der Grundlaststromerzeugung
eingesetzt werden können, benötigen sie ein System von
Mittel- und Spitzenlastkraftwerken, die in der Regel mit Kohle und
Gas befeuert werden. Eine Ausweitung des Atomstromanteils hat daher
zwangsläufig eine Ausweitung der Kohlendioxidemissionen aus
fossilen Kraftwerken zur Folge. Statt auf den Atomkraftwerksdinosaurier
EPR zu setzen, sollte Finnland die dafür veranschlagte Summe
in erneuerbare Energien investieren. Gerade im Bereich der Windenergie
und der Biomassenutzung sind im dünnbesiedelten, aber waldreichen
Nordland noch große Potentiale zu erschließen.
Beinahe wären die Turbinen für das Atomkraftwerk auch
noch mit einer Hermesbürgschaft der Bundesrepublik Deutschland
versehen worden. Erst massiver Protest aus der Anti-Atombewegung
verhinderte dies. Auch in Frankreich soll in den nächsten Monaten
ein EPR-Reaktor bestellt werden. Die französische Anti-Atombewegung
ruft daher europaweit zu einer Demonstration am 17. Januar in Paris
auf. Nicht ohne Grund feiert Siemens die Bestellung des finnischen
Reaktors als Verhinderung des atomtechnologischen Fadenrisses: Veränderte
politische Mehrheiten hierzulande können schnell zum Ruf nach
neuen Reaktoren führen. Nur eine wachsame Anti-Atombewegung
kann dies verhindern.
Eduard Bernhard, BBU-Vorstandsmitglied Wolfgang Kühr, BBU-Vorstandsmitglied
|