Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V.
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Konsultationsverfahren zum Netzentwicklungsplan 2012 (Strom)

 

Stellungnahme des BBU

Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) wendet sich entschieden gegen den Plan der 4 großen Übertragungsnetzbetreiber zur Errichtung von 3.800 km neuen Höchstspannungstrassen von Nord- nach Süddeutschland, die angeblich für das Gelingen der Energiewende unverzichtbar sind.

Der Netzentwicklungsplan ignoriert das enorme Ausbaupotenzial der Erneuerbaren Energien, besonders der Windenergie, in Süddeutschland. Ein hohes Windstromangebot aus dem Norden behindert den Aufbau dezentraler Versorgungsstrukturen aus erneuerbaren Energien im Süden. Und er ignoriert weitere Möglichkeiten, Strom zu verteilen ohne die Nutzung konventioneller Techniken:

 

1. Rahmenbedingungen S. 11

Rechtliche Grundlagen

Das Energiewirtschaftsgesetz als hauptsächliche Grundlage für den Netzentwicklungsplan, einschließlich der EU–energiepolitischen Vorgaben, kennt weder den Begriff der Nachhaltigkeit noch diejenigen von Schutz von Natur und Umwelt.
Eine Implementierung des Art. 20a Grundgesetz (Schutz der Lebensgrundlagen, auch in Verantwortung für künftige Generationen) ist weder formal noch geistig erfolgt.
Schon gar nicht kennt es die exorbitanten Probleme, die bei andauerndem Wachstum – hier bei Stromgewinnung und –verbrauch – entstehen und zur zwangsläufigen Zerstörung unserer Lebensgrundlagen führen werden.
Dazu sei Meinhard Miegel zitiert (Aus Politik und Zeitgeschichte 62, 27-28, S.3(2012):
„Der besorgniserregende Befund ist, dass sich kein einziges Land innerhalb der Tragfähigkeitsgrenzen der Erde befindet. Soll heißen: Sie verbrauchen Regenerierbares schneller, als die Erde es zu regenerieren vermag, erzeugen mehr Schadstoffe, als von Luft, Wasser und Böden abgebaut werden können und setzen bei allem Nicht-Regenerierbarem darauf, dass dem Menschengeschlecht schon etwas einfallen werde, wenn dieses zur Neige geht. So wirtschaften sie munter drauf los und kümmern sich nicht darum, dass die Weltbevölkerung, wirtschaftete sie beispielweise wie die US-Amerikaner, vier Globen benötigen würde – und folgte sie den angeblich so ressourcen- und umweltbewussten Deutschen immerhin noch 2,6.“

Von daher fehlt im §  11 Abs. 1 (EnWirtschG), aus dem der gesellschaftliche Auftrag abgeleitet wird zur Schaffung des Energieversorgungsnetzes die wichtigste Beschränkung: ....soweit es wirtschaftlich zumutbar und überhaupt nötig ist.
Für die ÜNB wird abgeleitet, dass sie einen Beitrag leisten zur Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und des Klimaschutzes.
Dies ist aber angesichts unserer globalen und hausgemachten Probleme zu wenig. Dieser Beitrag muss auf der Basis von achtsamer Nachhaltigkeit, d.h. unter Beachtung des Schutzes von Umwelt und Natur und unter Achtung des Art. 2,2 GG, des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit erfolgen.

Der BBU  fordert, dass die noch folgende strategische Umweltverträglichkeitsprüfung  genau diese Implementierung in den Prozess vornimmt.



2.) Möglichkeiten zur Reduzierung des Leitungsbedarfs

Zum Ausgleich der schwankenden Angebote bei Wind- und Sonnenstrom stehen zahlreiche Möglichkeiten bereit: Anpassung des Verbrauchs an das wachselnde Angebot durch Lastverschiebung, Kombination von Sonnen- und Windenergie mit Biogasanlagen und Blockheizkraftwerken, Speicherung von Stromüberschuss durch Batterien, Elektrolyse  von Wasser zu Wasserstoff  oder in Speicherseen sowie grundsätzlich die Ausschöpfung der Energieeffizienzpotenziale. Die konsequente Förderung und Nutzung dieser Möglichkeiten reduziert den Leitungsbedarf, was jedoch im Netzentwicklungsplan keine Beachtung findet.

3.)   Power to Gas (S. 19 ff)

Die Möglichkeiten von Power to Gas werden völlig unterschätzt und finden deswegen nicht Eingang in konkrete Vorhaben des Netzentwicklungsplans.

Der BBU fordert, dass dies korrigiert wird aus folgenden Gründen:

  1. Zunächst einmal ist kurz- und mittelfristig Power to Gas zu beschränken auf die Wasserstoff-Produktion, dessen  Umwandlung zu Methan ist Zukunftsmusik und effizienzmindernd.
  2. Die bisher ermittelten Effizienzen liegen deutlich höher als im Plan angegeben: Der Wirkungsgrad der Elektrolyse kann schon mehr als 90% erreichen, wenn die Elektroden optimiert werden und die entstandene Wärme mitberücksichtigt wird.
  3. Der Wirkungsgrad der Rückverstromung in KWK-Anlagen erreicht ebenfalls 90% (incl. Wärme)
  4. Der Brennwert des normalen Erdgases unterliegt auch natürlichen Schwankungen. Bei Einhaltung einer konstanten Zumischung von Wasserstoff ist keine neue Messtechnik erforderlich, sondern nur eine neuer Umrechnungsfaktor auf den geringfügig niederen Brennwert des Wasserstoff/Erdgas-Gemisches

Das Fazit geht damit an den heutigen Fakten vorbei: dringend erforderlich wären erste Demonstrationsanlagen mit höheren Leistungen als bei den bestehenden Pilotanlagen. Sicher muss auch für diese Phase der Entwicklung eine Einspeisevergütung für eingespeisten Wasserstoff in Ergänzung des EEG geschaffen werden.

Der BBU fordert die Realisierung von Demonstrationsanlagen der 5  MW-Leistungsklasse und die Erleichterung der Einspeisekonditionen des Wasserstoffs ins Erdgasnetz.

Die Prognose für diese Technik ist aus Sicht des BBU jedenfalls um Größenordnungen positiver als diejenige für die Entwicklung der Offshore-Windkraftanlagen, deren technischen Probleme keineswegs vollständig gelöst sind.

4.) Völlige Ausblendung der Nutzung von Bahninfrastrukturen

Die nun vorliegende Machbarkeitsstudie zur Verknüpfung von Bahn- und Energieinfrastruktur hat diese Möglichkeit nicht gänzlich ausgeschlossen.
Einen wesentlichen Aspekt hat sie zudem nicht berücksichtigt:
Die Möglichkeit bei verkehrstechnisch sinnvollen Elektrifizierungen und bei Reaktivierung von Strecken eine Energieleitungsnutzung vorzusehen. Diese Idee ist gerade von einer Eisenbahngesellschaft (Regioinfra, Enon) aufgegriffen worden, die an einer Elektrifizierung ihrer Strecken zwischen Neustadt/Dosse (Prignitz, Brandenburg) und Güstrow (Mecklenburg) interessiert ist und der Fa. Eon die Mitbenutzung als Energietrasse angeboten hat.

Der BBU fordert, dass beispielhafte Strecken wie diese (immerhin Nord-Süd ausgerichtet) ausgebaut werden für die parallele Nutzung von Bahnstrom  und Energieversorgung.

5.)   KWK  und Dumped Energy    S.  61/63

Die Möglichkeiten zur stärkeren Dezentralisierung der Energieerzeugung mit Hilfe von „Schwärmen“ von kleinen BHKW wird überhaupt nicht in Erwägung gezogen. Deren über smart-grids  ansteuerbaren Stromerzeugungskapazitäten bleiben daher unbeachtet.

Der BBU fordert, dass mehrere Demonstrationsprojekte mit unterschiedlichen Leistungsstärken gestartet werden, auf deren Ergebnis aufbauend eine deutliche Minderung des Netzausbaus konzipiert wird.

Das Problem der „dumped energy“ könnte vergessen werden, wenn solche Überschuss-Ströme via Elektrolyse von Wasser in Wasserstoff umgewandelt würden.
Diese Möglichkeit wurde leider nicht beachtet.

6.) Zubau Erneuerbarer Energien

In dem Szenario mit dem stärksten Zubau an Erneuerbarer Energie (C) geht der Netzentwicklungsplan von einer installierten Solarstromleistung von 48,6 GW für das Jahr 2022 aus, für das Szenario  B2022 von 54 GW. Dies  bedeutet ab jetzt einen jährlichen Zuwachs von 2,4 GW, bzw. 3 GW. In den Jahren 2010 und 2011 lag der Zuwachs bei jeweils mehr als 7 GW. Bereits für Ende April 2012 meldet die Bundesnetzagentur einen Zubau von über 2,3 GW. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Netzbetreiber davon ausgehen, dass die Solarenergie, wie von der Bundesregierung gewollt, ausgebremst wird, was vom BBU schon heftig kritisiert wurde.

7.) Pläne zur regionalen Ausschöpfung der Energiepotenziale

Viele Bundesländer treiben ihre Pläne zur regionalen Ausschöpfung ihrer Energiepotenziale voran. Sichtbares Zeichen dafür sind die zahlreichen jetzt schon funktionierenden Regionen und Kommunen mit 100%- Erneuerbarer Energie-Versorgung. Diese Entwicklung findet keine angemessene Beachtung im Netzentwicklungsplan und lässt an den dort propagierten Ausbauzahlen zweifeln.

8.) Kohlekraft contra Windkraft

Sechs von rund zwanzig im Bau befindlicher oder geplanter Kohlekraftwerke befinden sich in der Küstenregion, wo ohnehin schon ein Windstromüberschuss besteht, der zur Begründung des Leitungsausbaues herhalten muss. Der Bedarf an Leitungen verringert sich gravierend, wenn Kraftwerke dort gebaut werden, wo die Energie auch benötigt wird. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die geplanten Leitungen vornehmlich zum Abtransport des Kohlestroms genutzt werden sollen um eine Reduzierung der Kraftwerksleistung bei hohem Windstromangebot zu vermeiden. Dieser Aspekt macht eine Neubewertung des Leitungsbedarfs durch unabhängige Einrichtungen dringend nötig.

9.) Der Netzentwicklungsplan verhindert die zügige Energiewende

Insgesamt ist es mehr als fragwürdig, die Netzausbauplanung den Netzbetreibern zu überlassen, die an Bau und Betrieb von Leitungen verdienen, eng mit den 4 Energiekonzernen verbunden sind und ein Interesse an der Festigung des derzeitigen zentralistischen Systems der Energieerzeugung und -verteilung haben. Der Netzentwicklungsplan behindert somit eine zügige Energiewende und erhöht die Kosten für die Verbraucher.

Der BBU behält sich vor, seine Stellungnahme weiter zu ergänzen.


Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Jürgen  Rochlitz (Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands des BBU)

Bonn, 10.01.12